Herzdruckmassage als Herzensangelegenheit
Heute ist Dr. Andreas Atzeni ausgeschlafen. Das ist ungewöhnlich für den Notfallmediziner. Wenn er Schüler zum Thema Reanimation unterrichtet, dann meist im Anschluss an eine Nachtschicht.
Antun müsste sich das der Arzt nicht. Trotzdem ist er Initiator und Antrieb von „Schüler retten Leben“. Damit „tingelt“ Atzeni, wie er selbst sagt, durch Schulen der Region. „Die Motivation ist groß. Mein Vater kam in den 1960er Jahren aus Italien nach Deutschland und ich konnte hier kostenlos studieren. Mit dem Projekt ‚Schüler retten leben’ kann ich meinem Staat etwas zurückgeben“.
Schüler als Multiplikatoren
„Zu viele Menschen sterben am Herzstillstand. Das liegt auch daran, dass im Landkreis Osnabrück die Wege sehr weit sind“, erklärt Atzeni den Belmer Siebtklässlern der AG „Schulsanitäter“. Von den Rettungswachen würden Ärzte oft eine gute Viertelstunde bis zum lebensbedrohlich erkrankten Patienten unterwegs sein. „Eigentlich sollten es nur acht Minuten sein.“ Der Leiter des Notfallstandorts Bramsche möchte die Schulsanitäter zu Multiplikatoren für seine Sache machen. Er bildet die AG-Teilnehmer in der sogenannten Laienreanimation aus, der Herzdruckmassage ohne Mund-zu-Mund-Beatmung. Dann trainieren die Schüler den Ablauf regelmäßig mit der Leiterin der Arbeitsgemeinschaft, Jessica Arens-Friedrich. Anschließend sollen die AG-Schüler fit sein, um ihr Wissen an die Mitschüler in allen Klassen der Oberschule weiterzugeben.
„Stayin‘ Alive“ als Trainingsmusik
Die wichtigsten Utensilien bringt Andreas Atzeni als Geschenk mit. Zehn der 20 Übungspuppen für Herzdruckmassage legt er auf dem Boden im Konferenzraum M23 aus. „Ich habe Quellen angezapft, damit ihr die für eure AG behalten könnt“, so Atzeni und wird ernst, „Reanimation geht uns alle an. Jedes Jahr erleiden in Deutschland mehr als 50.000 Personen einen Herzinfarkt oder Herzstillstand. Zuletzt ist daran sogar ein 6-jähriges Mädchen gestorben“. Reanimation sei so wichtig, weil nach drei bis fünf Minuten ohne Sauerstoff im Hirn irreparable Schäden entstehen.
Von Atzeni lernen die Schüler den Ablauf und die Massage. Das alles unter Zeitdruck, es könnte auch „Drill“ heißen. Das passt zu Atzenis T-Shirt mit dem Logo der Navy-Seals, einer Spezialeinheit der US-Marine. Der Ablauf: Zuerst das Bewusstsein des Patienten prüfen. Ist er bewusstlos über den Notruf 112 einen Rettungswagen bestellen. Dafür reicht Atzeni eine Smartphone-Attrappe an die Schüler. Im dritten Schritt folgt die Herzdruckmassage. „Schnell und fest drücken. In der Mitte des Brustkorbs, etwa fünf bis sechs Zentimeter tief und 100 bis 120 Mal pro Minute.“ Einige haben Hemmungen ihre Hände, kräftig auf den Brustkorb der Übungspuppen zu pressen. „Ältere Menschen haben verkalkte Knochen, da können Rippen brechen. Aber besser eine gebrochene Rippe als tot nach Herzstillstand“, ruft der Arzt.
Er lässt bei den Übungen zur Druckmassage Musik spielen. So sollen die Schüler den passenden Rhythmus finden. Atzeni hat passend „Highway to hell“, „Atemlos“ und „Stayin‘ Alive“ ausgesucht.
5er mit Film sensibilisiert
Nach rund 75 Minuten mit Atzeni beherrschen die Schüler den Ablauf. Jetzt sind die Schulsanitäter dran, ihr neues Wissen zur Herzdruckmassage an den Rest der Oberschule weiterzugeben. „Beim Infotag für Grundschüler hat schon alles gut geklappt“, blickt Arens-Friedrich zurück, „und im Mai haben sie die Klasse 5a geschult.“
Aus dem Kreis der Schulsanitäter war Melissa Deniz aus der 7G1 dabei. Die Zwölfjährige wunderte sich etwas, dass die Fünftklässler mit den Übungspuppen zunächst nur rumgespielt haben. „Einige waren etwas undiszipliniert“, beobachtete Melissa, „aber dann zeigten wir denen ein Video, in dem Menschen mit Herzproblemen umkippen und wie eine schnelle Reaktion Leben retten kann. Danach haben sie bei der Ausbildung eifrig mitgemacht“. Melissa machte der Wechsel in eine Art Lehrerrolle Freude. Die hält hoffentlich lange an, denn Arens-Friedrich, die schon Dr. Atzeni nach Belm holte, plant jedes Jahr eine Übungsstunde zur Reanimation für jede Klasse der Oberschule.
Das passt zur Hausaufgabe, die Dr. Atzeni den Siebtklässlern schon nach der Erstausbildung mit auf den Weg gab: „In den nächsten Tagen erklärt ihr fünf Personen aus eurem Umfeld, wie eine Reanimation abläuft.“