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Zeitzeuge: Vom Vater in die DDR entführt

„Was werft ihr weg im Sportunterricht? Einen Ball oder einen Speer?“. Das fragte Thomas Raufeisen vor Oberschülern des 9. und 10. Jahrgangs. Er selbst habe in der DDR auf dem Sportplatz der Erweiterten Oberschule „Immanuel Kant“ mit Handgranaten schleudern müssen. „Ich habe die mal gewogen. Sie wiegt 500 Gramm“, sagte Raufeisen und hatte für seinen Vortrag eine Attrappe dabei.

Mit Unterstützung der Volkshochschule Osnabrück-Stadt hatte die OBS Belm den Zeitzeugen Thomas Raufeisen engagiert. Der berichtete über seine deutsch-deutsche Odyssee und las auch Teile seines Buchs „Ich wurde in die DDR entführt. Von meinem Vater. Er war Spion“. In sein persönliches Leseexemplar hatte Raufeisen nur drei orange Zettel als Lesezeichen gelegt. Die meiste Zeit trug er also frei vor. Auch das machte seinen Bericht so spannend und ließ Raum für Diskussion mit den Neunt- und Zehntklässlern.

„War es schwer, in der DDR ein Abitur zu bekommen?“, fragte Mohammad Shirzad. Das habe „die Staatsmacht geregelt“, erwiderte Raufeisen. Ein falsches Wort über die Regierung oder Fehlverhalten der Eltern konnten jede Karriere verhindern; sowohl durch Nicht-Zulassung für die Oberstufe als auch durch den Verlust des Studienplatzes.

Vlad Gojinetchi erzählte, dass er gerade Orwells Klassiker „1984“ lese und in dem Roman ein Mann von der Polizei festgenommen wurde, weil er sich am Abend zur besten Zeit im Freien aufhält. „War das in der DDR auch so?“ Die Willkür sei durchaus mit der DDR vergleichbar. Das Buch sei auch verboten gewesen. Er selbst habe es noch als 17-Jähriger in Hannover gelesen. Die Lektüre von „1984“ muss Raufeisen in den letzten Wochen seiner Freiheit erledigt haben.

Er besuchte damals ein Gymnasium in Hannover, bis er von seinem Vater in die DDR entführt wurde. Das war 1979. Der Vater war Spion der DDR im Westen, drohte aufzufliegen und musste fliehen.

Unter einem Vorwand lockte der Ingenieur und Spion Armin Raufeisen seine Familie in die DDR. Der Großvater sei angeblich schwer erkrankt. Nach ein paar Tagen wolle die Familie zurück nach Niedersachsen fahren – wie schon so oft zuvor.

Schock in der DDR
Tatsächlich reiste Armin Raufseinen nicht zu den Großeltern, sondern in ein konspiratives Haus der Staatssicherheit, dem DDR-Geheimdienst. Für den hatte er im Westen seit vielen Jahren Wirtschaftsspionage betrieben. Dort ordnete er mit den Stasi-Schergen seiner Familie an: „Wir bleiben hier. Ihr werdet Bürger der DDR.“ Thomas Raufeisen fühlte sich „wie im Schockzustand“. Statt einem bunten Leben in Hannover erlebte er nun die Tristesse und die Unfreiheit des sogenannten Arbeiter- und Bauernstaates.

Sein Abitur sollte Thomas Raufeisen nun an einer DDR-Vorzeigeschule in Berlin machen. Die empfand er alles andere als modern. Der bauliche Zustand war im Vergleich zur heilen Welt von Hannover ein Desaster. Raufeisen zeigte auf dem Smartboard die Bilder vom miserablen Zustand der Schule.

In diesem „Staat“ wollte Raufeisen nicht länger bleiben. Er plante mehrere Fluchtversuche. Unter anderem wollte er via Budapest in den Westen. Sein Vater, inzwischen auch des DDR-Systems überdrüssig, nutzte sein Agentenwissen, um mit dem Geheimdienst der USA, dem CIA, Kontakt aufzunehmen. Doch die Stasi bekam Wind davon. Mit 19 Jahren wurde Raufeisen zu drei Jahren Haft verurteilt, die er bis 1984 vollständig absitzen musste. Im Anschluss bewilligte ihm die DDR den Ausreiseantrag in die Bundesrepublik.

Oberschüler besuchten Stasi-Knast
„Es ist etwas anderes, wenn Geschichte nicht durch Bücher, sondern von Zeitzeugen vor Ort erklärt wird“, sagte die Fachbereichsleiterin für „Geschichtlich-soziale Weltkunde“ (GSW), Dagmar Eilermann, über die Veranstaltung. Die Klassen 10a und 10b haben den Terror durch die DDR-Staatssicherheit auf ihren jeweiligen Abschlussfahrten nach Berlin intensiviert. Sie besuchten das Untersuchungsgefängnis im Stadtteil Hohenschönhausen, das nach der Wende zur Gedenkstätte umgewidmet wurde. Meist führen dort ehemalige Häftlinge durch Folterkeller, Verhörräume und Zellen, um über die unmenschlichen Haftbedingungen in der DDR zu berichten – auch Thomas Raufeisen.